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Beitrag vom 05.11.2013
Wir brauchen keine Schubladen
Deborah S. Phillips
Die jüdische Künstlerin Deborah S. Phillips und ihr Gegenüber, die im Irak geborene Diplom-Architektin Maha Alusi haben in vielen Gesprächen in Kreuzberg und Neukölln ihre Gemeinsamkeiten entdeckt
Maha Alusi und ich haben sehr viel Gemeinsames entdeckt während unserer Gespräche im Rahmen des Dialogprojekts Lokale Geschichte(n). Ihr Zeitgefühl und die Vorstellung, auf indirekte Weise Geschichten zu erzählen, spielen in ihrer Arbeit eine sehr wichtige Rolle. Statt einer klassischen Biographie entstehen hier deswegen Aspekte unseren Austausches und das sagt doch genug über jede Einzelne aus, oder?
Statt zu erwartender Verschiedenheiten liefern wir, ach, wie langweilig, ähnliche Interessen, gar Motivationen, sehr viele. Kalligraphische Formen haben Spuren in Mahas Kerzen hinterlassen (wie auch in meinem eigenen Werk). Fließende Formen sind in unser beider Bildsprachen, auch wenn wir unterschiedliche Medien verwenden, wichtig. Bei ihr ist das halt auch die Natur, von Wachs bestimmt. Materialität spielt bei uns beiden eine sehr wichtige Rolle, Materialeigenschaften in den Gestaltungsprozessen Raum zu geben ist für Maha auch sehr wichtig. Sie ist fasziniert von dem, was der Verlauf der Zeit gestalterisch bewirken kann: das verstehe ich auch sehr gut. Wir sind beide ehemalige Architektinnen (auch wenn ich nicht bis zum Diplom studiert habe), die sich heutzutage mit flüchtigen Materialien beschäftigen.
Maha kann souveräner mit Zeit umgehen als jede andere Person, der ich hierzulande je begegnet bin. Egal, wie spät dran sie ist, wie spät jemand anderes dran ist, sie bleibt ruhig und beruhigt andere um sie herum. Energetisch und gut gelaunt ist Maha, weil "Was bringt´s, schlecht gelaunt durch die Gegend zu laufen?"
Vorbildlich in dieser Hinsicht: eine Frage der Veranlagung, oder Erziehung, oder eine Kombination davon? So hat sie sicherlich die Brüche in ihrem Leben so gut bewältigen können wie damals, als ihre Familie Baghdad verlassen hat.
Sie behauptet, dass sie sich als Geschichtenerzählerin versteht. Wie definiert sie hier Geschichte? Meint Maha etwa eine Serie oder eine konventionelle Geschichte mit Anfang und Ende? Nein: für Maha ist eine Geschichte eine Reihe von Ideen oder Gegebenheiten, nicht unbedingt eine "konventionelle" Geschichte. Das heißt für mich, dass sie eigentlich Abenteuer meint. Vieles kommt zusammen und führt irgendwohin und das ist viel spannender als eine Art Geschichte ohne offene Elemente, wie es sie so oft gibt.
Beeindruckend ist der Raum in Mahas Kelleratelier, wo der Boden ganz mit Wachs bedeckt ist. Es ist eine Art Spielzimmer, ein Ort, wo man sich austoben kann. Ihre Werkstatt ist ein sehr sozialer Ort. Es ist tatsächlich ein Keller, der zum Verweilen einlädt. Jetzt entsteht dort ein Gewölbe: sie hat sich von meinem MOSAïC-Buch inspirieren lassen und baut dort eine Kuppel mit Wachs. Bis ich mich mit Maha unterhalten habe, war mir nicht bewusst, wie vielfältig dieses Material ist. Eines ihrer Talente ist, ihre Begeisterung zu teilen: ich habe mich auch davon anstecken lassen!
Kategorien/Grenzen überwindet Maha sehr souverän. Sie hat, komplett mit theoretischem Überbau, zusammen mit ihren HelferInnen eine Technik entwickelt, um ihr Material ganz anders zu behandeln als üblich: sie macht Kunst, aber sie macht auch darüber hinaus etwas käufliches, in Serien. Das kann man auch als gemeinsamen Nenner wahrnehmen.
Sprachlich lässt sie sich vielleicht leicht als Irakerin einordnen, aber ihre prägenden Erlebnisse haben an unterschiedlichen Orte stattgefunden: die Menschen und weniger die Orte sind ausschlaggebend.
Wir haben gemeinsam, dass wir uns nicht einen Ort oder Bereich sondern mehrere von beidem als Inspirationsquellen wahrnehmen.
Es war sehr spannend, mich regelmäßig mit Maha zu treffen und wir werden´s sicherlich immer wieder machen, dank dieses Programms von AVIVA-Berlin.
Maha Alusi stammt ursprünglich aus Baghdad, kam als Jugendliche nach London und studierte dort Architektur. Sie hat ein Faible für ausgetüftelte Dinge und hat eine Maschine entwickelt, mit der sie brennende Skulpturen aus Wachs herstellen kann. Ich bewundere ihre Fähigkeit, ihre universelle Phantasie umzusetzen!
Die Künstlerin Deborah S. Phillips ist in sehr verschiedenen Bereichen medienübergreifend tätig, zum Beispiel als bildende Künstlerin (die Bilder in zwei, drei oder vier Dimensionen macht) macht, als Übersetzerin und Organisatorin.
Inspiriert durch Begegnungen während der Deutschen Kulturtage in Zentralasien hat sie daraufhin ihr Projekt MOSAïC über einen Zeitraum von sechs Jahren realisiert. Bestehend aus Collagen entstand eine Installation, eine Performance, ein 35mm Film und ein Buch in Zusammenarbeit mit der UNESCO. Gegenstand ihrer Collage waren Tausende Details aus Moscheen und Synagogen in sechs Ländern. Sie arbeitet derzeit an einem Projekt über die Farbe Blau, T´chelet.
"Inspiriert von Maha", 2013, Tusche und Buntstift auf Büttenpapier von Deborah S. Phillips
Mehr Infos zu Deborah S. Phillips unter:
deborahsp.wordpress.com
Mehr Infos zu Maha Alusi unter:
vimeo.com
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